Hintergrund: Durch einen Heimvertrag verpflichtet sich ein Unternehmer (Heimträger) gegenüber einem volljährigen Verbraucher (Heimbewohner) zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen, die der Bewältigung eines durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfebedarfs dienen. Verletzt ein Vertragspartner eine Pflicht aus einem Heimvertrag, so kann der andere Vertragspartner, soweit ihm deswegen ein Schaden entsteht, Ersatz dafür verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schädiger keine Schuld an der Pflichtverletzung hatte. Der Vertragspartner muss sich ein Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen (z. B. Mitarbeiter) anrechnen lassen.
Streitfall: Im Herbst 2008 verließ eine demenzkranke (73 Jahre) alte Dame unbemerkt das Pflegeheim, in dem sie den dreiwöchigen Urlaub ihrer sie (sonst) betreuenden Tochter verbringen sollte. Drei Tage nach ihrem Verschwinden wurde die alte Dame verletzt, unterkühlt und in einem schwer verwirrten, desorientierten Zustand auf einer Wiese liegend gefunden. Sie war gestürzt und hatte sich dabei die (rechte) Schulter gebrochen. In der Folge dieser Verletzung ist das Schultergelenk – trotz einer zwischenzeitlich eingesetzten Prothese – funktionell unbrauchbar; Schulter und Arm sind nur noch eingeschränkt beweglich.
Im Juni 2010 hat das Landgericht Mühlhausen die Betreiberin der Pflegeeinrichtung zu einem Schmerzensgeld von 10.000 € und (zusätzlich) einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 150 € an die alte Dame verurteilt. Hiergegen hat die Pflegeheimbetreiberin Berufung eingelegt; und zwar mit der Begründung, sie unterhalte eine offene (keine geschlossene) Einrichtung und habe eine lückenlose (100 %-ige) Überwachung der alten Dame weder leisten können, noch müssen.
Entscheidung: Das Oberlandesgericht Thüringen (OLG) hat die Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen (wegen der Schmerzensgeldrente) und den Betrag für das Schmerzensgeld auf 20.000 € verdoppelt. Zur Begründung führt das OLG aus:
Die Pflegeheimbetreiberin hat ihre Betreuungspflichten aus dem Heimvertrag fahrlässig verletzt. Sie hat gewusst, dass die alte Dame demenzkrank und an ihrem Wohnort häufig allein zu ihrem Elternhaus gelaufen ist.
In der für sie fremden Umgebung hat die konkrete Gefahr bestanden, dass die demenzkranke alte Dame sich verlaufen und dann verwirrt und orientierungslos umherirren werde.
Nachdem sie das Heim bereits zweimal (am ersten und am zweiten Tag ihres Aufenthalts) unbemerkt verlassen hatte, sei mit einem erneuten – und anders als bei den beiden ersten Malen auch erfolgreichen – Weglaufversuch zu rechnen gewesen.
Um das zu verhindern und sicherzustellen, dass die alte Dame sich nicht selbst in Gefahr bringt, hätte sie lückenlos beaufsichtigt werden müssen. Wenn hierfür kein hinreichendes Personal verfügbar gewesen sei, hätte die Tochter aufgefordert werden müssen, ihre Mutter wieder abzuholen (und anderswo unterzubringen).
Hinweise: Das Urteil des OLG ist noch nicht rechtskräftig. Es hat zwar die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen; hiergegen kann die Pflegeheimbetreiberin jedoch die sog. „Nichtzulassungsbeschwerde“ einlegen. Eine Schmerzensgeldrente kommt neben einer einmaligen Schmerzenszahlung nicht in Betracht.
OLG Thüringen, Urteil v. 23.3.2011 – 2 U 567/10
Quelle: Medieninformation des OLG Thüringen Nr. 04/2011 v. 24.3.2011
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