Hintergrund: Das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (MÜ) regelt die Ansprüche von Fluggästen bei Verspätung von Reisenden und bei Verlust ihres Gepäcks. Das MÜ gilt für jede internationale Beförderung von Personen durch ein Luftfahrzeug, wenn Abgangs- und Bestimmungsort in den Hoheitsgebieten zweier Staaten liegen, die das Abkommen unterzeichnet haben. Der Luftfrachtführer muss dann u. a. den Schaden zu ersetzen, der durch Verlust von aufgegebenem Reisegepäck entsteht, jedoch nur, wenn dieser an Bord des Luftfahrzeugs oder während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand.
Bei der Beförderung von Reisegepäck haftet der Luftfrachtführer für den Verlust nur bis zu einem Betrag von 1000 Sonderziehungsrechten (SZR) je Reisenden; die Umrechnung der SZT ist ebenfalls im MÜ geregelt. Der Wert eines SZR wird täglich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aktualisiert und veröffentlicht und basiert auf den Umtauschraten der Währungen, aus denen sich das SZR bildet. Am 11.3.2011 z. B. betrug der Wert eines SZR 1,13806 €.
Streitfall: Eine Flugpassagierin verlangt von dem Luftfahrtunternehmen aus eigenem und abgetretenem Recht Schadensersatz für den Verlust von Reisegepäck. Die Frau war am 31.8.2008 mit einem Flug des Luftfahrtunternehmens zusammen mit ihrem Lebensgefährten von Frankfurt am Main nach Malaga geflogen. Dabei ging die als Reisegepäck aufgegebene Golfreisetasche der Frau verloren. In der Tasche befand sich außer ihrer eigenen auch die Golfausrüstung ihres Lebensgefährten. Die Vorinstanzen haben die Klage auf Schadensersatz abgewiesen, soweit der geltend gemachte Betrag den Haftungshöchstbetrag aufgrund des (MÜ) überstiegen hat (s.o. Hintergrund): Die Frau könne über diesen Haftungshöchstbetrag hinaus weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht (ihres Lebensgefährten) Schadensersatz verlangen. Bei Verlust von aufgegebenem Reisegepäck ist grundsätzlich nur derjenige anspruchsberechtigt, der das Gepäck aufgegeben und damit den Luftbeförderungsvertrags abgeschlossen hat. Zwar muss auch ein Passagier, der Eigentum im Gepäck eines Mitreisenden verloren habe, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Luftfrachtführer geltend machen können. Er kann aber keinen Ersatz mehr verlangen, wenn der Mitreisende, der das betreffende Gepäckstück aufgegeben hat, für den Verlust bereits die höchstmögliche Entschädigung nach den Vorschriften des MÜ erhalten habe.
Entscheidung: Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Frau, mit der diese die an sie abgetretenen Ersatzansprüche ihres Lebensgefährten für den Gepäckverlust noch in Höhe von 750 € weiterverfolgt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Aus den Gründen der Entscheidung:
* Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Ersatzanspruch nicht nur demjenigen Reisenden zu, der die Aufgabe seines Gepäcks durch einen Gepäckschein dokumentieren kann.
* Da der Gepäckschein als Legitimationspapier nicht den Anspruch auf Herausgabe des aufgegebenen Reisegepäcks verbrieft, kann auch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs bei Verlust des Gepäcks nicht an die Vorlage eines Gepäckscheins geknüpft werden.
* Der Schadensersatzanspruch nach steht daher auch einem Reisenden zu, der ihm gehörende Gegenstände in einem Gepäckstück eines anderen Mitreisenden in die Obhut des Luftfrachtführers gegeben hat.
* Dabei ist der Anspruch auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Haftungshöchstgrenze mit der Befriedigung der Ansprüche des Reisenden, der das verloren gegangene Gepäckstück aufgegeben hat, bereits ausgeschöpft ist.
* Im MÜ ist die Haftungshöchstgrenze nach seinem Wortlaut ausdrücklich je Reisenden bemessen.
Hinweis: Eine Beschränkung der Haftungssumme gilt nicht, wenn der Reisende bei der Übergabe des aufgegebenem Reisegepäcks an den Luftfrachtführer das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort betragsmäßig angegeben und den verlangten Zuschlag entrichtet hat. Dann muss der Luftfrachtführer bis zur Höhe des angegebenen Betrags Ersatz zu leisten, sofern er nicht nachweist, dass dieser höher ist als das tatsächliche Interesse des Reisenden an der Ablieferung am Bestimmungsort.
BGH, Urteil v. 15.3.2011 – X ZR 99/10
Quelle: Pressemeldung Nr. 42/2011 des BGH v. 15.3.2011
Dies ist ein Service in Zusammenarbeit mit Verlag NWB.