Kindeswohl hat Vorrang vor Umzugswunsch eines Elternteils ins Ausland
Hintergrund: Auch nach einer Trennung eines verheirateten Ehepaares haben grundsätzlich beide Elternteile das gemeinsame elterliche Sorgerrecht für ihre minderjährigen Kinder. Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Zustimmung des anderen aufhält, darf dann nur in Angelegenheiten des täglichen Lebens für das Kind allein entscheiden. Auf Antrag kann das Sorgerecht im Einzelfall auf einen Elternteil übertragen werden.
Streitfall: Ein Ehepaar hatte sich getrennt. Die sechs Jahre alte Tochter lebte bei der Mutter, die die italienische Staatsangehörigkeit besaß. Der Umgang des Kindesvaters wurde immer wieder aufgrund von Streitigkeiten zwischen den Eheleuten erschwert. Die Kindesmutter wollte zu ihrem neuen Lebensgefährten nach Italien umziehen und beantragte deshalb die Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts beim zuständigen Familiengericht. Das Familiengericht lehnte den Antrag aber ab.
Entscheidung: Das Oberlandesgericht Koblenz (OLG) hat die Beschwerde der Kindesmutter zurückgewiesen und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Familiengerichts bestätigt. Denn die Aufhebung der gemeinsamen Sorge kommt nur in Betracht, wenn es dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dabei gilt Folgendes:
* Das Grundrecht des umzugswilligen Elternteils auf örtliche freizügige Lebensgestaltung und das Grundrecht des anderen Elternteils auf möglichst freien Umgang mit seinem Kind müssen gegeneinander abgewogen werden.
* Wird das Umgangsrecht aufgrund einer Übersiedlung des Kindes mit einem Elternteil in einen anderen Staat für den anderen Elternteil erschwert, müssen triftige Gründe für den Umzug vorliegen.
* Der Umzug muss dabei die Folge einer ernsthaften und wohlbegründeten Planung des zukünftigen Lebens des umzugswilligen Elternteils sein.
Fehlen zudem gefestigte soziale Bindungen für das Kind in dem anderen Staat und gibt es dort auch keine beruflichen Perspektiven für den umzugswilligen Elternteil, entspricht die Übertragung der elterlichen Sorge auf den einen Elternteil nicht dem Kindeswohl.
Hinweise: Das OLG hat auch abgelehnt, lediglich das Aufenthaltsbestimmungsrecht (bei Belassung der gemeinsamen elterlichen Sorge) auf die Kindesmutter zu übertragen. Auch dies entspreche nicht dem Kindeswohl, weil aufgrund des bisherigen Verhaltens der Kindesmutter das Umgangsrecht des Vaters bei einem Umzug als sicher ausgeschlossen anzusehen sei.
Bei der Geburt nichtehelicher Kinder hat die Mutter bisher das alleinige Sorgerecht, sofern sie nicht bereit ist, dieses mit dem Kindesvater aufgrund einer übereinstimmenden Sorgeerklärung (Beurkundung beim Jugendamt oder Notar) zu teilen. Viele ledige Mütter lehnen dies ab. Der deutsche Gesetzgeber ist aber aufgrund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 verpflichtet, das Klagerecht nichtehelicher Väter auf Teilhabe an der elterlichen Sorge oder Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zu regeln. Die bisherige Regelung diskriminiert nichteheliche Väter.
OLG Koblenz, Beschluss v. 4.5.2010 – 11 UF 149/10
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