Kindergeld: Feststellung der Fähigkeit volljähriger behinderter Kinder zum Selbstunterhalt
1. Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs des gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits zu prüfen.
2. Allein aus dem Umstand, dass der Sozialleistungsträger den dem Grunde nach Kindergeldberechtigten auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrags für das Kind in Anspruch nimmt, ist nicht abzuleiten, dass dieses zum Selbstunterhalt außerstande ist.
Streitig war, auf welche Weise bei der Festsetzung von Kindergeld zu ermitteln ist, ob ein volljähriges Kind aufgrund seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, sofern die Behinderung –wie im Streitfall– vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
Das Tatbestandsmerkmal „außerstande ist, sich selbst zu unterhalten“ ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Ist das Kind hingegen trotz seiner Behinderung in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt der Behinderung keine Bedeutung zu.
Der gesamte Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus dem –betragsmäßig an den Grundfreibetrag i.S. des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG anknüpfenden– Grundbedarf und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben, insbesondere solche für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens.
Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge. Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden.
BFH, Urteil v. 27.10.2021, III R 19/19