Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.
Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen. Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch indizierte Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert wird.
Die Empfängnisunfähigkeit einer Frau ist eine Krankheit. Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird. Nach neuerer Rechtsprechung kommt es insoweit weder auf den Familienstand der Frau noch darauf an, ob sie mit einem männlichen Partner oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.
Erforderlich ist allerdings in jedem Fall, dass die künstliche Befruchtung mit dem Ziel erfolgt, die auf einer „Krankheit“ der Frau (Empfängnisunfähigkeit) oder des Mannes (Zeugungsunfähigkeit) beruhende Kinderlosigkeit zu beheben. Unter einer „Krankheit“ in diesem Sinne ist mit dem BFH, der seinerseits dem Begriffsverständnis der anderen oberen Bundesgerichte folgt, ein objektiv anomaler regelwidriger Körperzustand zu verstehen. Hiervon ist nach der Überzeugung des Senats der Fall abzugrenzen, dass eine objektiv feststellbare herabgesetzte Fertilität nicht auf anormalen organischen Ursachen, sondern auf dem fortgeschrittenen Alter eines Menschen beruht. Es handelt sich in diesem Fall gerade nicht um einen „regelwidrigen“ Körperzustand, sondern um die Folge eines natürlichen biologischen Vorgangs.
Der Differenzierung zwischen einer „anormalen“ und einer „normalen“ herabgesetzten Fertilität aufgrund Alters steht auch nicht entgegen, dass in der Rechtsprechung mitunter auch Aufwendungen für solche Hilfsmittel (z.B. für Brillen, Hörapparate, Rollstühle) als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden, die dazu bestimmt sind, andere altersbedingte körperliche Funktionsbeeinträchtigungen auszugleichen. Während der Mensch idealtypischerweise während seiner gesamten Lebensdauer die Fähigkeiten des Sehens, Hörens und des Sich-Fortbewegens behält, gilt dies für die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau aus biologischen Gründen gerade nicht.
FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 18.10.2018 – 9 K 11390/16