Heranziehung des unterhaltspflichtigen Kindes durch den Sozialhilfeträger für Elternunterhalt
Hintergrund: Viele pflegebedürftige Menschen können die Kosten ihrer Pflege nicht aus eigenen Einnahmen oder Vermögen bestreiten. Wenn die Sozialhilfebehörde Leistungen für sie erbringt, so erfolgt kraft Gesetzes ein sog. Forderungsübergang. Das heißt, der Sozialhilfeträger kann im eigenen Namen die Aufwendungen (für den Unterhalt des Sozialhilfeempfängers) gegenüber unterhaltsverpflichteten Personen der Pflegeperson einklagen. Grundsätzlich fordert die Sozialhilfebehörde den Unterhalt zunächst von Verwandten ersten Grades, also von Eltern oder Kindern, zurück.
Streitfall: Die Sozialhilfeträgerin verlangte von einem Bürger aus übergegangenem Recht Zahlung von Elternunterhalt für dessen Mutter. Diese befindet sich seit April 2005 in einem Pflegeheim und litt schon während der Kindheit ihres Sohnes u. a. an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik, Antriebsschwäche und Wahnideen. Seit spätestens 1977 besteht so gut wie kein Kontakt mehr zwischen dem Sohn und seiner Mutter. Der Sohn wehrte sich gegen die Zahlungsansprüche und wendete zum einen Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch den Sozialhilfeträger und u. a. wegen Fehlverhaltens seiner Mutter ein. Da sie ihn als Kind nie gut behandelt habe, würde es für ihn eine unbillige Härte bedeuten, wenn er gegenüber dem Sozialhilfeträger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsste.
Entscheidung: Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte letztendlich die Unterhaltsverpflichtung des Sohnes. Der Unterhaltsanspruch der Mutter (übergegangen auf den Sozialhilfeträger) ist nicht verwirkt. Die Behörde hat sich durchgängig um die Realisierung des auf sie übergangenen Unterhaltsanspruchs bemüht. Deshalb durfte sich der Sohn auch nicht darauf verlassen, dass die Sozialhilfeträgerin ihr Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.
Weiter hat der BGH entschieden, dass eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass die pflegebedürftige Mutter ihrer früheren Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Sohn nicht gerecht werden konnte, kein schuldhaftes Fehlverhalten ist. Deswegen hat die Mutter auch ihre Unterhaltsberechtigung gegenüber ihrem Sohn nicht verloren.
* Aufgrund der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf ihren Sohn es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden.
* Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt.
Hinweis: Oft verschenken Eltern Grundstücke oder Geldbeträge an ihre Kinder, um auf diese Weise das Erbe vorwegzunehmen. Sinnvoll sind solche Zuwendungen u. U., um Erbstreitigkeiten vorzubeugen. Gerät der Schenker aber später in wirtschaftliche Not und erhält Sozialhilfe, wird der Sozialhilfeträger das Geschenk vom Beschenkten zugunsten des Sozialhilfeempfängers zurückfordern. Der Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes ist ausgeschlossen, wenn zur Zeit des Eintritts der Bedürftigkeit des Schenkers seit der Leistung des geschenkten Gegenstandes zehn Jahre verstrichen sind.
BGH, Urteil v. 15.9.2010 – XII ZR 148/09
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Pressemitteilung Nr. 174/2010
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