1. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht im Sinne von1 KSchG „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern.
2. War der Arbeitgeber gemäß 1 SGB IX zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass – bezogen auf den maßgeblichen Prognosezeitpunkt des Zugangs der Kündigung – auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.
3. Hat der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen, ein bEM anzubieten, sind ihm dabei oder bei der weiteren Durchführung aber Fehler unterlaufen, ist für den Umfang seiner Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können. Das kann der Fall sein, wenn dieser gerade aufgrund der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch den Arbeitgeber einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt hat, was der tatgerichtlichen Würdigung im Einzelfall bedarf. Anderenfalls spricht der Umstand, dass ein Arbeitnehmer nicht zu seiner (weiteren) Durchführung bereit ist, grundsätzlich dagegen, dass durch ein bEM mildere Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können (Rn. 16).
4. S. 1 SGB IX begründet eine Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines bEM, sobald innerhalb eines Zeitraums von maximal einem Jahr sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit überschritten sind. Erkrankt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, ist grundsätzlich erneut ein bEM durchzuführen. Dies gilt auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.
BAG, Urteil v. 18.11.2021, 2 AZR 138/21