Hintergrund: Eltern schulden ihren Kindern grundsätzlich eine begabungsangemessene Ausbildung. Das Ausbildungsunterhaltsverhältnis zwischen Eltern und Kindern ist allerdings von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt. So hat das Kind seine Ausbildung mit Fleiß und Zielstrebigkeit durchzuführen. Gewisse Ausbildungsverzögerungen müssen die Eltern je nach den Umständen des Einzelfalles hinnehmen. Allerdings wird in der Rechtsprechung teilweise angenommen, dass der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt, wenn sich der Auszubildende nach Beendigung der allgemeinen Schulausbildung nicht innerhalb einer angemessenen Orientierungsphase um die Aufnahme einer seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Berufsausbildung bemüht.
Streitfall: Eine 1986 geborene Frau wuchs im Haushalt ihrer Mutter auf. Sie besuchte von Juli 1999 bis Juli 2004 die Hauptschule, danach hat sie im August 2004 ein Freiwilliges Soziales Jahr begonnen, von Oktober 2004 bis Februar 2005 ein Praktikum in einem Kindergarten absolviert und in dem Zeitraum von März 2005 bis Oktober 2005 an einem berufsvorbereitenden Lehrgang der Deutschen Angestellten Akademie teilgenommen. Im Anschluss daran war die Frau sodann bis Juli 2008 als Zimmermädchen in einem Hotel tätig. In der Zeit von August 2008 bis Juli 2009 holte sie ihren Realschulabschluss nach und begann mit der Ausbildung zur Sozialhelferin am Berufskolleg. Die Ausbildung wird – das Bestehen der Abschlussprüfung vorausgesetzt – im Juli 2011 beendet sein.
Die Mutter ist aufgrund ihrer tatsächlichen Einkünfte nicht dazu in der Lage, Kindesunterhalt für ihre in einem eigenen Hausstand lebende Tochter zu zahlen. Der Vater hatte bis Oktober 2005 Kindesunterhalt gezahlt, diese Zahlungen sodann jedoch eingestellt. Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 18.12.2009 hat er gegenüber der Tochter die Zahlung von Kindesunterhalt für die Ausbildung zur Sozialhelferin abgelehnt, weil sie eine vierjährige Pause eingelegt hatte.
Das Land Rheinland-Pfalz zahlt auf Antrag der Frau für die Zeit ab Januar 2010 Kindesunterhalt von 455 EUR als Vorausleistung nach dem BAföG-Gesetz. Im vorliegenden Verfahren verlangt das Land vom Vater die Erstattung der für die Monate Januar 2010 bis Juli 2010 geleisteten Zahlungen von insgesamt 3.185 EUR.
Entscheidung: Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gab der Klage des Landes Rheinland-Pfalz gegen den Vater statt. Das Gericht sah in der vierjährigen Unterbrechung der Ausbildung keinen ausreichenden Grund, die Zahlungen einzustellen: Denn die Tochter führe ihre Ausbildung nach der Unterbrechung nun zielstrebig fort. Es wäre für sie daher mit erheblichen Nachteilen verbunden, wenn sie kein Geld mehr erhielte.
Nach Auffassung des OLG kann der Unterhaltsanspruch trotz einer nicht unerheblichen Verzögerung bei der Ausbildung im Einzelfall fortbestehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in den Fällen der Erstausbildung der Unterhaltspflichtige durch die Zuerkennung des Unterhaltsanspruchs wirtschaftlich nicht übermäßig belastet wird, die Versagung des Unterhaltsanspruchs für das Kind jedoch gravierende Folgen für dessen Lebensstellung haben würde. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt vorliegend zu der Annahme, dass der Unterhaltsanspruch der Tochter nicht entfallen ist.
Hinweis: Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung haben die Richter die Beschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen.
OLG Koblenz, Urteil v. 6.4.2011 – 13 UF 88/11
Quelle: dpa, 22.8.2011. 14.36 Uhr
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